«Zwischen den Tönen»-
Musik und Stille
MUSIK
«Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann
und worüber zu schweigen unmöglich ist.»
Victor Hugo
Musik führt uns auf innere Reisen und regt unsere Emotionen an. Da gibt es wilde Rhythmen, kühne Harmonien und schwelgerische Melodien, welche uns sinnlich berühren und animieren. Oder sanft fliessende Melodien und pastellfarbene Teppiche von Harmonien, in welchen wir uns entspannen und seligen Träumen hingeben können. – Und dann passiert es halt auch immer wieder, dass während der bezauberndsten Musik unser profaner Alltag in unseren Hirnwindungen auftaucht…
ZWISCHEN DEN TÖNEN
«Die Stille zwischen den Noten ist genauso wichtig wie die Noten selbst.»
Wolfgang Amadeus Mozart zugeschrieben
Manche Komponisten sind sich sehr bewusst, wie Stille in ihre Werke hineinwirken, uns aufwecken und die Musik vertiefen kann. Zum Beispiel verwenden sie in klassischer Musik gerne sogenannte Generalpausen. Das sind plötzliche Lücken, Unterbrechungen der Musik.
Hier einige Beispiele:
Mozart verwendet diese Pausen oft wie Fallgruben. Wir fallen in sie hinein und befinden uns plötzlich in einer ganz anderen Welt.
So ist zum Beispiel der Höhepunkt seiner Oper Le Nozze di Figaro eine lange Generalpause! Eine komplizierte Geschichte von Intrigen, Eifersucht und Machtmissbrauch neigt sich ihrem Ende zu, als Figaro, seine zukünftige Braut Susanna und die Gräfin sich verschwören, um die Doppelmoral des Grafen ans Licht zu bringen. Die Überraschung des Grafen ist gross, als er unverhofft blossgestellt vor all seinen Untergebenen steht. Alle verstummen, und eine grossartige Wandlung geschieht. Zum ersten Mal spürt der Graf sein Herz und kann sich bei der Gräfin aufrichtig entschuldigen.
Das folgende Video zeigt den turbulenten Schluss der Oper. Die Wandlung ist bei 2:44.
Haydn ist ein Grossmeister des musikalischen Humors und liebt Generalpausen ebenso. Er simuliert z.B. vor dem Ende seiner Sinfonie Nr. 90 einen Schluss, um die Zuhörer an der Nase herumzuführen. Das gelingt ihm auch heute noch problemlos!
Händel komponiert sehr oft eine lange Generalpause als Höhepunkt, bevor er den musikalischen Endpunkt setzt. Das berühmteste Beispiel dazu ist das «Halleluja» aus seinem Oratorium Der Messias. (1:49:15)
Diese Generalpausen finden sich seit dem 16. Jahrhundert bis heute in unzähligen Werken. Ein Stück aus dem Jahr 2013, welches die Stille geradezu zelebriert, ist 4PM, geschrieben und hier gespielt vom Blockflötisten und Komponisten Conrad Steinmann.
STILLE
«Ein Musikstück beginnt nicht mit der ersten Note und endet nicht mit dem letzten Ton –
es kommt aus der Stille und es endet in ihr.»
Daniel Barenboim
Was passiert nun aber, wenn unsere Aufmerksamkeit nicht nur der Musik folgt, sondern auch in der Stille präsent ist?
Stille ist wie die weisse Wand zwischen zwei aufgehängten Bildern oder wie die leeren Zwischenräume beim Spreizen unserer Finger. Sie ist immer da, auch wenn keine Bilder hängen oder keine Finger sich spreizen.
Stille können wir mit keinem unserer Sinnesorgane direkt wahrnehmen. Und doch können wir unsere Aufmerksamkeit auf sie richten und uns mit der Stille vertraut machen. Dadurch erhält Musik unverhofft eine neue Dimension.
Die kurzen Konzerteinführungen werden weitere Einblicke in das Zusammenspiel von Musik und Stille geben.
Rolf Mäder